„Vom Gehen müssen und Ankommen dürfen“ heißt die aktuelle Ausstellung im Erdinger Museum. Dabei geht es um den Teil deutscher Geschichte, die Millionen von Menschen im wahrsten Sinne des Wortes bewegt hat: die Vertreibung aus den
ehemaligen deutschen Ostgebieten ab 1944.
Von Südungarn in die „Fremde“ nach Eichenkofen Adam Dreher, 81, kniet vor einem Holzkoffer. Mühsam entziffert er: Absender „Kristliche Hilfswerk Salsburg“, Empfänger: „Johann Streit, Eichenkofen Láger b. Erding Obb. AmZone, Deitslánd“. „Der Johan, das war mein Onkel“, sagt Dreher. „Der war schon vor uns weg und zu dem wollten wir.“ Adams Ausgangspunkt
der Flucht war das südungarische Püspölmárok, „ziemlich am Ende der Welt“, sagt Dreher. „Donauschwaben“ hießen die Deutschen, die sich dort ab 1875 ansiedelten und nach dem verlorenen Weltkrieg als Nazis vertrieben wurden. Dreher erzählt von seiner Flucht, gemeinsam mit Mutter Margarethe und Oma Elisabetha, als ob sie gestern gewesen wäre. „Der
26. November 1944 war es, Regenwetter, und da es ja keine befestigten Straßen gab, überall nur Lehm und Matsch.“ Ihnen wurde erzählt, dass am 50 Kilometer entfernten Bahnhof ein leerer Wehrmachtszug stehe, den wollten sie erreichen. Es herrschte eine blindwütige Magyaromanie, Übergriffe von Seiten der Ungarn auf die Deutschen waren nicht selten. „Wir haben so schnell es ging gepackt was wir konnten. Für das Pferdefuhrwerk viel zu viel.“ Immer wieder fuhren sie die 50 Kilometer hin und her, um so viel wie möglich in den Zug zu quetschen. Schließlich fuhren sie mit der Eisenbahn nach Körmed, überquerten erneut per Pferdefuhrwerk die österreichische Grenze. Sie flüchteten weiter aus der Steiermark nach Salzburg, um dann schließlich am 20. September 1947 „in aller Herrgottsfrüh“ nach Eichenkofen zu gelangen. „Angekommen sind wir aber in Erding eigentlich nur mit dem, was wir anhatten und auf den Armen tragen konnten. Das war nicht viel“, sagt Dreher. Der im Museum ausgestellte Koffer des Onkels kam erst einige Tage später.
Wo man hinkam, das war nur ein Zufall
Dreher wohnt heute in Höhenkirchen-Siegertsbrunn, hat von der Ausstellung in Erding zufällig erfahren und „es war klar, das schaue ich mir an. Ich bin begeistert und muss noch ein paar Mal wieder kommen, damit ich mir alles wirklich ganz genau ansehen kann.“ Bei der Ausstellungseröffnung blieb ihm dafür nämlich keine Zeit, viel zu viele Gleichgesinnte waren da, zahlreiche Zeitzeugen, die wie er aus Ungarn vertrieben wurden. In der Volkszählung von 1941 in Ungarn hatten 477.057 Personen „deutsch“ als ihre Volks- oder Sprachzugehörigkeit angegeben, 136.847 Staatsbürger deutscher Nationalität verließen ungarischen Quellen zufolge Ungarn bis zum 1. September ´46, weitere 24.789 folgen bis Dezember 1946.
Insgesamt suchen rund 14 Millionen Vertriebene nach Ende des Zweiten Weltkrieges eine neue Heimat. In Ostpreußen, Pommern, dem Sudetenland, Schlesien, Böhmen, Donauschwaben oder Südungarn war nach dem Krieg kein Platz mehr
für die „Verlierer“. Erste Stationen für die Heimatvertriebenen waren schnell errichtete und ebenso schnell hoffnungslos überfüllte Auffanglager in der Nähe der Ostgrenzen. Ob die weitere „Reise“ in den Westen oder in den Osten Deutschlands ging, darüber entschied der pure Zufall. Für Adam Dreher war Eichenkofen ein Glück, „auch wenn es eng war hier, zu neunt auf weniger als 20 Quadratmeter, das ist nicht lustig“, erzählt Dreher. Auch an das Plumpsklo kann er sich nur zu gut erinnern. „Aber wir haben hier unseren Onkel wiedergefunden, der schon drei Jahre zuvor vor der Roten Armee flüchtete.“ Vom Staatskommissar für das Flüchtlingswesen gab es einen „Flüchtlingsausweis“ mit Fingerabdruck, der Eintritt in ein neues Leben. Drehers Erinnerungen sind nicht einzigartig, denn es leben doch noch viele derjenigen, um die sich die Ausstellung dreht. Sie schwelgen in Erinnerungen, haben Tränen in den Augen und sind sich bewusst, „dass es nicht mehr lange dauert, bis wir nicht mehr leben und wir wirklich Geschichte geworden sind“, meint Dreher.
Nicht alle empfingen uns mit offenen Armen
Wider das Vergessen mahnen die zahlreichen landsmannschaftlichen Vereinigungen, aber auch Personen wie Maria Mader. Sie wurde als junges Mädchen im Jahr 1946 aus Varvažov in Böhmen ausgewiesen und hat ihr Kriegs- und Vertreibungs-
schicksal in zwei Büchern niedergeschrieben. Damit liefert sie der Nachwelt ein Zeitdokument. Trotz ihrer 87 Jahre ist sie voller Elan und Tatkraft, ihre Erzählungen sind temperamentvoll und leidenschaftlich, das Zuhören eine reine Freude. Oft
fallen Worte wie „man darf nie aufgeben!“, „ich verzeihe“, aber auch „ich vergesse nicht!“. Ganz wichtig ist Mader, dass sie keine Vergeltung sucht, auch wenn Mutter und Vater in der Tschechei im KZ gesessen haben, sie als 15-Jährige den vier
Jahre jüngeren Bruder ein halbes Jahr versorgen musste. „Krieg darf es nie mehr geben!“, betont sie voll Inbrunst.
Deshalb sei es auch so wichtig, den Nachkommen immer wieder zu erzählen, zu schildern, was Leid, Unglück, Ungerechtigkeit anrichten können. „Nicht alle haben die Vertreibung überstanden. Und es war ja nicht so, dass wir hier ins gelobte Land gekommen wären“, sagt Mader. „Aber auch die jüngeren Menschen müssen verstehen, was passiert ist.“
Sie wurden keineswegs nur mit offenen Armen empfangen. „Polacke“ oder „die aus dem Osten“ waren böse Schimpfwörter. Fremdenfeindlichkeit, das gab es schon damals. Ähnlich den Flüchtlingen heute, „wurden auch wir nicht als Bereicherung angesehen.“